Komm mit auf einen Ausflug durchs perioperative Gerinnungsmanagement!

Algorithmus zur Therapie von perioperativen Blutungen bei Erwachsenen, nach Dr. S. Casu

Diesen wunderbaren Algorithmus zur Therapie von perioperativen Blutungen bei Erwachsenen habe ich schon lange im Bereich Wichtig & Wertvoll als Download gelistet. Höchste Zeit, dass das perioperative Gerinnungsmanagement auch ausführlich besprochen wird! Um die Übersicht zu bewahren, teile ich die Besprechung des perioperativen Gerinnungsmanagements in 3 Blogartikel auf.

Der Autor dieses Algorithmus ist Dr. Sebastian Casu. Der Algorithmus hilft, perioperative Blutungen oder Blutungen im Rahmen eines Polytraumas zu managen. Ich schätze ihn weil er übersichtlich ist, weil die Maßnahmen aufeinander aufbauen und weil es konkrete Dosierungsvorschläge gibt.
Die Gerinnungskarte ist aufgebaut wie eine Ampel: Von grün geht es über gelb nach rot.

Weiter geht es mit Teil 3 im gelb-roten Bereich.

Nachdem wir uns im letzten Artikel um die Optimierung der Gerinnselbildung gekümmert haben, soll es nun um die Optimierung der Plasmatischen Gerinnung gehen. 

PPSB

PPSB ist ein Gemisch aus verschiedenen Gerinnungsfaktoren, die auch namensgebend sind. Nämlich:

P Prothrombin (Faktor II)
P Prokonvertin (Faktor VII)
S Steward-Prower-Factor (Faktor X)
B antihomophiler Faktor B (Faktor IX)

Außerdem sind noch die Proteine C, S und Z dabei. 

Vielleicht fällt dir hier schon die alte Eselsbrücke 27-19 oder 1972 wieder ein – denn diese Gerinnungsfaktoren sind die berühmten Vitamin-K-abhängigen. Hieraus ergibt sich schon die erste Indikation für PPSB, nämlich die Antagonisierung von Antikoagulanzien, die als Gegenspieler von Vitamin K wirken. Wie zum Beispiel Marcumar. 

Außerdem ist PPSB natürlich indiziert bei erworbenen Mangelzuständen der enthaltenen Gerinnungsfaktoren – also beispielsweise der akuten Blutung. 

Gib 20-40 IE/kg Körpergewicht als Kurzinfusion.

FFP / Fresh Frozen Plasma

Wenn es derart blutet, dass du ohnehin schon fleißig am Transfundieren bist, ist es sinnvoll, deinem Patienten nicht nur rote Blutkörperchen und Kristalloide anzubieten, sondern auch Plasma. Die Crux an den FFPs ist jedoch, dass sie (zumindest in meiner Erfahrung) weitestgehend missverstandene Blutersatzprodukte sind. FFPs sind definitiv keine Gerinnungsfaktoren-Zaubermittel, mit denen man jede Blutung stoppen oder gar den Quick wieder anheben kann.


FFPs sind nämlich faktisch Gerinnungsfaktoren-Mangelpräparate. Ein Liter Plasma besteht zu 90% aus Wasser. Die restlichen 10% sind Eiweiße, nämlich Albumin, Immunglobuline, Fibrinogen und eine kleine Prise Gerinnungsfaktoren. Der Anteil an den Inhaltsstoffen, die uns interessieren (also Fibrinogen und Gerinnungsfaktoren) ist wirklich gering! Durch die enthaltenen Proteine haben FFPs einen guten Volumeneffekt, bleiben also länger intravasal und wirken so kreislaufstabilisierend. Aber sie sind definitiv nicht dazu geeignet, einen Mangel an Gerinnungsfaktoren auszugleichen oder den Quick zu korrigieren. 

Gib in der Massentransfusion (also ab 5 EKs pro Stunde) frühzeitig 30 ml/kg Körpergewicht FFP. Oder gib ein FFP pro transfundiertem EK.  

Thrombozytenkonzentrate TK

Paradigmenwechsel: Um die Optimierung der Plasmatischen Gerinnung hast du dich gekümmert. Ab jetzt geht es um die Gerinnselstabilisierung. 

Quelle: G. Singbartl, K. Singbartl (Hrsg.), Transfusionsassoziierte Pharmakotherapie

Du erinnerst dich an das Bild der Mauer, die aus Mörtel und Steinen besteht. Der Mörtel sind die Gerinnungsfaktoren, die Steine sind die Thrombozyten. Ohne Steine gibt es keine Mauer, und ohne Thrombozyten keinen Clot. Wir wissen, dass die Thrombozytopenie in der akuten Blutung ein eher spätes Ereignis ist. Eine gut validierte Untergrenze gibt es jedoch nicht. 

Von einem TK kannst du einen Anstieg der Thrombozytenzahl von 10-30/nl erwarten. Wenn es weiterhin blutet, kann der Anstieg pro TK mit 5-10/nl aber auch deutlich geringer ausfallen.

Eine AB0-Kompatible Transfusion wird empfohlen. 

Ziel ist es, die Thrombozytenzahl über 80/nl zu halten, bzw. über 100/nl beim Schädel-Hirn-Trauma oder bekannten Störungen der Thrombozytenfunktion. 

Ultima ratio

Jetzt sind wir schon am Ende der Fahnenstange angelangt, nämlich im dunkelroten Bereich. Alles was hier noch empfohlen wird, hat eine geringe Evidenz oder ist sogar Off-label Use.

1. Wenn dein Patient immer noch blutet, kannst du die Gabe von 1g Tranexamsäure wiederholen. 

2. Außerdem kannst du Faktor XIII substituieren. Faktor XIII ist die Strickliesel der Gerinnungskaskade, es hat nämlich die Aufgabe, die unstabilen Fibrin-Monomere querzuvernetzen und einen stabilen Clot zu stricken. Fehlt Faktor XIII, wird der Clot nie stabil sein. Gib 2500 IE als Kurzinfusion. 

Quelle: www.brigitte.de

3. Rekombinanter Faktor VIIa, auch bekannt als NovoSeven, aktiviert den Faktor X und löst damit einen Thrombin-Burst aus. Es gibt der ganzen Gerinnungskaskade also nochmal einen kräftigen Tritt.

CAVE: Dieser Mechanismus kann nur gelingen, wenn die Grundvoraussetzungen dafür erfüllt sind:
Thrombozyten > 50/nl, Fibrinogen > 100mg/dl, pH > 7,2

Nochmal CAVE: NovoSeven ist zugelassen für die Hämophilie A/B, erblichen Faktor-VII-Mangel und die Thrombasthenia Glanzmann. Aber nicht für die aktive Blutung! Die Gabe hierunter ist ein Off-label Use.
Gib 90µg/kg KG. 

So geschafft! Wir haben die ganze Gerinnungskarte von oben bis unten besprochen. Das gute Stück hat aber auch noch eine Rückseite, und die siehst du hier: 

Algorithmus zur Therapie von perioperativen Blutungen bei Erwachsenen, nach Dr. S. Casu

Hier siehst du noch einmal alle Substanzen, die du im Rahmen des perioperativen Gerinnungsmanagements verabreichen kannst, in einer Übersicht. Die Indikation und Dringlichkeit der Gabe der einzelnen Helferlein wird in Relation gesetzt zum Hb deines Patienten (ist ja klar), und zum Base Excess.
Hä? Warum jetzt zum Base Excess?! Berechtigte Frage! Hb und BE korrelieren signifikant mit dem Fibrinogenspiegel deines Patienten.
(Quelle: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23849249/)

Beide Werte kannst du einfach in einer BGA bestimmen, und bekommst damit einen schnellen Überblick, wo dein Patient gerinnungstechnisch gerade steht. Ohne dass du lange aufs große Labor warten musst. Cool, oder?

Danke dass du bei diesem langen Ausflug durchs perioperative Gerinnungsmanagement bis zum Ende durchgehalten hast! Wenn du nochmal nachlesen willst, findest du hier Teil 1 und Teil 2

Viel Erfolg mit der Kitteltaschenkarte!

Herzliche Grüße,

Frau Sandmann