Obwohl ich heute von der Anästhesie mehr als nur überzeugt bin, muss ich zugeben, dass diese Erkenntnis eher spät kam. An die Anästhesie-Vorlesung zu Uni-Zeiten habe ich keine Erinnerung, was nur bedeuten kann, dass ich
a) nicht anwesend war oder
b) überhaupt nicht aufgepasst habe.
Als Wahlfach fürs PJ hatte ich Gynäkologie auserkoren. Meine Erwartungen an das Fach waren wohl so überromantisiert, dass ich, wenn ich mal ehrlich bin, nur enttäuscht werden konnte.
Am Ende war meine Fachrichtungswahl ein pragmatisches Ausschlussverfahren, das ich mit der geballten Lebenserfahrung einer frisch approbierten jungen Ärztin traf:
– Chirurgie? Lange stehen, schwere Haken halten, rabiate Oberärzte. Nein.
– Innere? Alte Patienten, schleppende Behandlungsverläufe. Nein.
– Gyn? Unausgeglichenes Genderverhältnis, big emotions, big drama. Nein.
– Kinder? Eltern, Eltern, Eltern. Nein.
– HNO oder Augen? Irgendwie überschreitet das meine persönliche Ekel-Schwelle. Nein.
– Derma? Cortison und Lichtschutzfaktor. Nein.
– Uro? Da sind nur Jungs. Nein.
– Neuro? Wenn was kaputt ist, kann man es nicht mehr heile machen. Nein.
– Psych? Menschliche Abgründe. Nein.
Tja, was bleibt noch übrig? Zum Glück fielen mir plötzlich diese coolen Typen wieder ein, die im OP immer bei der Maschine sitzen durften. Und so wurde ich ein Sandmann.
Spaß beiseite: Es gibt jede Menge Gründe für dieses wunderbare Fach.
Hier sind meine Top 7
1. Das Patientengut ist vielfältig
Neugeborenes oder Hunderjähriger, Männlein oder Weiblein – in der Anästhesie kommen sie alle mal vorbei, und als Anästhesistin oder Anästhesist wird man sie alle mal behandeln. Da jede Altersgruppe ihre ganz eigenen Herausforderungen hat, gibt es viel zu lernen und zu können. Langweilig wird es auf alle Fälle nicht!
2. Der medizinische Anspruch ist hoch
Der Anästhesist ist quasi der Hausarzt aller operationswürdigen Patienten. Bevor es losgeht, befragen und untersuchen wir unsere Patienten nochmal gründlich, um alle Nebenerkrankungen auf dem Schirm zu haben, und das individuell am besten geeignete Narkoseverfahren auszusuchen. Damit bleibt der medizinische Gesamtanspruch hoch und das Feld breit. Pulmonologie, Hämostaseologie, Kardiologie, viel Physiologie, Pharmakologie, Infektiologie, Schmerztherapie und viele andere Bereiche mehr gehören zum täglichen Brot für die Anästhesie, und das hält den Kopf frisch und das Wissen präsent.
3. Kaffeepause, anyone?!
Dass Anästhesisten sich gegenseitig ab- und auslösen ist gang und gebe. Kaffee-, Toiletten- und Mittagspausen sind damit auch im straffsten OP-Programm möglich und etabliert. Und wenn der Tag zu Ende geht, kann der Spätdienst übernehmen. Leider ist das nicht überall Realität, aber zumindest in der Theorie können Überstunden vermieden werden, und man muss auch im OP nicht stundenlang ohne Futter und Wasser vor sich hindarben.
4. Teilzeit? Null Problemo
Dass man als Ärztin oder Arzt auch in Teilzeit gut performen kann, haben die Anästhesisten schon recht früh verstanden. Heute sind Teilzeitmodelle in den allermeisten anästhesiologischen Abteilungen gut etabliert, sodass individuelle Mischungen aus Karriere, Familie und Lifestyle gut möglich sind.
5. Coole Menschen = Coole Teams
Die Struktur unserer Arbeit hat einen entscheidenden Vorteil: Auf Assistentenebene herrscht ein wirklich geringer Konkurrenzdruck. Jeder Anästhesist bekommt seinen Saal, jeder muss mal in die Prämedikationsambulanz. Und da es absolut im Sinne der Chefs ist, dass sich alle kleinen Sandmänner zügig und gleichmäßig entwickeln, finden die Rotationen doch meistens planmäßig und gerecht statt. Das führt zu entspannten und harmonischen Teams und einer guten Arbeitsatmosphäre.
6. Im Notfall ganz entspannt bleiben
Akute medizinische Notfälle wie Atem- oder Herzkreislaufprobleme hauen einen Sandmann so schnell nicht aus den Socken. Denn wenn wir in der Anästhesie eins können, ist es das: Den Atemweg sichern und Kreislauf machen. Damit verliert so mancher Dienst seinen Schrecken. Und auch wenn am Ende die Facharztreise ganz wo anders hingehen sollte: Die anästhesiologischen Kenntnisse bleiben einem ja erhalten.
7. Ein wenig Adrenalin gefällig?
Die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin passt perfekt zum Anästhesisten. Denn als Notärztin oder Notarzt machst du das, was du ohnehin am besten kannst, nur in einem präklinischen Setting. Hier verbinden sich Spannung, ein hoher medizinischer Anspruch und ein unglaublicher Wissenszuwachs mit einer ganz neuen beruflichen Freude.
Wenn du dir also noch nicht ganz schlüssig bist, welche Fachrichtung für dich die richtige sein könnte, dann ist Anästhesie immer die richtige Entscheidung. Was du hier lernst, kannst du immer gebrauchen, und die Zeit in der Anästhesie ist auf viele andere Fachrichtungen anrechenbar.
Wenn du noch mehr Infos brauchst: Hier gibt es einen tollen Imagefilm der Initiative
https://www.anaesthesist-werden.de/ – einem Weiterbildungsportal von BDA und DGAI.
Sei willkommen im Team der Sandmänner!
Herzliche Grüße
Frau Sandmann
Und ich sage Dir, liebe Kollegin :
ad 1)
Nirgendwo kannst Du so schön das Panopticum der Species Operateur oder Patient studieren wie in der Anästhesie. Du machst es ja gerade zauberhaft vor.
(Obgleich ich schon ein altes Reff bin, habe ich laut gelacht…)
ad 2) – gaanz wichtig: Wenn Du nach Hause gehst, ist die Arbeit fertig. Morgen gibt’s was Neues. Ist auch besser als bei des Kollegen für Innereien, bei denen die Leute wochenlang herumliegen…
ad 3) und keine Arztbriefe !!!! Wow !!!
Vielen Dank für Deine Blogs, beste Grüße und immer einen vollen Vapor